„Die Einstiegsgehälter sind deutlich gestiegen“

Was verdient man als Akademiker? Zahlt sich ein Studium überhaupt aus und, wenn ja, in welchen Fächern hat man die besten Karriere-Chancen? Gehaltsexperte Dr. Conrad Pramböck plaudert aus dem Nähkästchen.

Herr Dr. Pramböck, wie bitte wird man überhaupt Gehaltsexperte?

Conrad Pramböck: Durch Zufall! Ich habe Jus studiert und bin dann im Gerichtsjahr draufgekommen, dass mich das überhaupt nicht anspricht. Jetzt war ich fertiger junger Herr Doktor und hab überlegt, was mach ich in meinem Leben? Ich bin dann in die Unternehmensberatung gegangen, hab bei einem großen deutschen Personalberater angefangen. Dort hat man mich schließlich gefragt, ob ich nicht Gehaltsstudien machen möchte, und das hat gut zu mir gepasst: Ich kann gut mit Zahlen umgehen und ich erzähle gern Geschichten. Jetzt erzähl ich Geschichten über Zahlen – und das seit 20 Jahren.

Sie beobachten den Markt also schon lange und beraten Personalchefs von Unternehmen: Was sind die Trends am Arbeitsmarkt, also die bestbezahlten Jobs?

Wenn mich junge Leute fragen: „Was soll ich machen, um viel zu verdienen?“, hab ich zwei Antworten darauf: Wenn du geschickt mit Computer oder Maschinen bist, studier was Technisches. Techniker sind seit Jahrzehnten gefragt. Einstiegsgehälter eines TU-Absolventen liegen deutlich über 40.000 Euro brutto im Jahr, bei vielen anderen Studienrichtungen sind es 30.000 Euro. Manche, etwa Publizisten oder Architekten, sind schon froh, wenn sie 20.000 bekommen.

Also selbst bei Akademikern gibt es eine große Bandbreite. Die zweite Antwort: Wenn du, so wie ich, zwei linke Hände hast und die Technik nichts für dich ist, dann ist meine Empfehlung, in den Vertrieb zu gehen. Denn du kannst hier deine Ergebnisse dokumentieren, auf Euro und Cent genau. Und gute Vertriebsleute sind immer gefragt, egal in welcher Branche und zu welcher Zeit, ob in der Krise oder im Boom. Interessanter Weise will aber niemand in den Vertrieb gehen, alle wollen ins Marketing, obwohl man dort unterdurchschnittlich verdient.

Ein Studium zahlt sich aber schon aus, oder?

Ja, natürlich, aber man kann im technischen Bereich auch mit einer Lehre gut verdienen. Ich hab vor kurzem eine Studie gemacht und mir angeschaut, wann ein Akademiker einen Mitarbeiter mit Lehrausbildung überholt. Im Schnitt holen die Akademiker erst mit Ende 30 auf, weil Lehrlinge ja schon mit 15 Geld verdienen. Also wenn du studierst, heißt das nicht, dass du sofort rich and famous bist. Wenn bei einem fünfjährigen Maturatreffen jeder sein Gehalt auf einen Bierdeckel schreibt, steht bei allen der gleiche Betrag darauf, nämlich zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Das ist das Gehalt von einem ausgelernten Maurer, von einer Kindergärtnerin oder auch das Einstiegsgehalt von einem Bachelor.

Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen?

Ganz genau. Und zwar konkret ab Mitte 30. Langfristig hast du als Akademiker bessere Chancen, mehr zu verdienen. Nicht-Akademiker bleiben meist bei 40.000 bis 50.000 Euro Jahresgehalt stehen, als Akademiker kannst du durchaus steigen Richtung 70.000, 80.000 Euro. Und du hast beste Chancen als Führungskraft aufzusteigen, wo du sogar noch deutlich mehr verdienen kannst. Einzige Ausnahme: Das Lebenseinkommen von jemandem mit einer technischen Lehrausbildung kann man als Akademiker nur schwer einholen. Hier trifft der Terminus Karriere mit Lehre wirklich zu.

Apropos Techniker: Fehlt denen nicht oft die soziale Kompetenz, um Karriere zu machen, oder ist das ein Cliche?

Ja, das stimmt tatsächlich in einigen Fällen. Techniker tun sich mitunter schwer mit Menschen. Sehr oft sind in Projektgruppen die WUler die, die Präsentationen halten und sich somit auch ein Stück weit verkaufen. Leistung spricht nicht für sich, du musst deine Leistung schon verkaufen. Die besten Karrierechancen haben also Techniker, die nicht nur gut mit Maschinen und Computern, sondern auch mit Menschen umgehen können.

Gibt es gar keine neuen Trends am Arbeitsmarkt, wenn Techniker schon in den 1970er Jahren gefragt waren?

Doch, eine Sache hat sich in den letzten drei Jahren verändert: die Einstiegsgehälter. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit Gehältern, und die Einstiegsgehälter sind immer maximal mit der Inflation gestiegen. Also wenn du die Inflation abziehst, hast du sogar einen kleinen Rückgang, netto somit einen Verlust gehabt.

Das hat in den letzten Jahren gedreht und zwar aus mehreren Gründen: Es gibt immer weniger junge Leute aufgrund der Überalterung, die Anforderungen der Unternehmer werden immer größer, aber das Schulniveau wird tendenziell schlechter und last not least legen die jungen Leute immer mehr Wert auf Freizeit und die Work-Life-Balance. Früher hast du gearbeitet ohne Pause und mit 65 einen Herzinfarkt bekommen, als du gerade das ganze Geld ausgeben wolltest. Heute lebt man mehr im Hier und Jetzt, will das Leben genießen.

Was bedeutet das konkret?

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Unternehmen hat händeringend einen jungen Spezialisten für die IT gesucht und niemanden gefunden. Dann stand endlich ein 22-jähriger Bachelor da, und sie sagten „ja bitte, komm zu uns, wir zahlen was du willst – wir zahlen dir 50.000 Euro brutto“, was ein absurd hohes Einstiegsgehalt ist. Der junge Mann aber hat gesagt: „So viel brauch ich eh nicht, ich hab meine Studentenbude und geringe Kosten. Ich komm zu euch Halbzeit für 25.000 Euro.“ Aber die brauchten wen, der voll arbeitet!

Also, wenn du eine gute Ausbildung hast, sozial umgänglich bist und willig zu arbeiten, bist du ein gemachter Mann bzw. eine gemachte Frau, weil dich alle händeringend suchen. Es ist tatsächlich so: Du musst dich als Unternehmen teilweise schon richtig anbiedern. Das hat sich in den letzten Jahren dramatisch gewandelt. Die jungen Leute führen sich teilweise auf, als wären sie ein Prinz oder eine Prinzessin.

Wie schlägt sich die angesprochene Entwicklung nun konkret in den Einstiegsgehältern nieder?

Die Einstiegsgehälter sind in den letzten zwei, drei Jahren deutlich über der Inflation gestiegen. Früher gab es Einstiegsgehälter von 30.000 Euro, heute geht es schon Richtung 35.000 bis 40.000 Euro, hinten raus bleibt es jedoch bei einem Endgehalt von durchschnittlich rund 70.000 bis 80.000 Euro. Das heißt, deine Lebenseinkommenskurve ist deutlich flacher.

In Summe dennoch eine erfreuliche Entwicklung. Wieso klingen Sie dann nicht euphorisch?

Es ist schon erfreulich, aber es führt auch dazu, dass die Motivation sinkt, weil man beispielsweise ab Mitte 30 dann eh nicht mehr so viel mehr verdienen kann, es sei denn man übernimmt Führungsaufgaben. Es zahlt sich für viele Mitarbeiter dann nicht mehr aus, überdurchschnittliche Leistung zu erbringen. Und schließlich leben wir in einem Land, in dem sich Leistung nicht lohnt und Nichtleistung keine Konsequenzen hat.

Zurück zu den Anforderungen der Unternehmen: Was sind derzeit so die Hauptkriterien für eine erfolgreiche Bewerbung?

Ich hab das mal Personalchefs gefragt. Und am Anfang kam so die Antwort: eine Ausbildung, die zum Job passt. An zweiter Stelle kamen Englischkenntnisse. Und drittens muss man praktisch überall schon gut mit Computern umgehen können, selbst als Mitarbeiter im Lager. Aber dann haben die Personalchefs gesagt: „So jetzt mal off the records: Bei uns kriegt der den Job, der vier Wörter beherrscht: grüß Gott, auf Wiedersehen, bitte und danke.“ Man glaubt nicht, was es hierbei für Defizite gibt bei den jungen Leuten.

Ich ergänze noch eine fünfte Regel: Hilfsbereitschaft. Wenn alle anderen was zu tun haben und du nicht, musst du fragen: Kann ich etwas helfen? Wenn du diese „vier plus eins“ Wörter kennst und möglichst oft verwendest, hast du gewonnen. Dann kann dir in der Karriere nichts mehr passieren. Es ist so simpel! Gute Umgangsformen in Kombination mit einer guten Ausbildung und der Bereitschaft zu arbeiten – dann stehen dir Tür und Tor offen.

Oder aber man macht sich selbständig. Wie stehen das die Chancen auf gutes Geld?

Ich habe mein erstes Buch „Jobstars“ der Frage gewidmet, wer es besser hat, Angestellte oder Selbständige. Und die Antwort war eindeutig: Die Angestellten haben es viel besser! Du verdienst im Schnitt mehr, hast ein sicheres Gehalt, kannst als Frau schwanger werden und nur noch Teilzeit arbeiten – du bist einfach abgesichert in jede Richtung, bekommst sogar dein Geld, wenn du auf Urlaub gehst und sogar wenn dein Arbeitgeber in Konkurs geht. Es geht dir in jeder Hinsicht besser. Es gibt ja derzeit einen Hype um Selbstständigkeit und Start-Ups. Viele sagen, man muss sich nur trauen. Aber ich rate fast jedem davon ab.

Obwohl Sie selbst ja seit Jahren selbständig sind. Bereuen also den eigenen Schritt in die Selbständigkeit?

Nein, ich genieße es, dass ich mir viele Freiheiten nehmen kann. Ich arbeite, wann es mir Spaß macht. Wenn mir am Vormittag die Kraft ausgeht, gehe ich Spazieren oder halte ein kleines Schläfchen, um wieder Kraft zu tanken. Ich nehme mir auch unter der Woche und während des Tages Zeit für Familie und Hobbys und hab kein schlechtes Gewissen deshalb, weil es ja auch kein Mensch sieht, dass ich schon seit 6 Uhr früh am Computer sitze und teilweise auch am Wochenende E-Mails erledige. Meine Arbeitszeiten haben mit einem geregelten 9-to-5 Job nichts zu tun.

Mit Verlaub, Sie predigen Wasser und trinken Wein. Wieso raten Sie jungen Menschen ab, wo Sie selbst doch glücklich sind in der Selbständigkeit?

Weil die Erwartungen meist überzogen sind. Viele glauben, sie müssen nur das gleiche machen, das sie bisher gemacht haben und werden dann reich. Laut Statistik Österreich liegt das Durchschnittseinkommen von einem Angestellten bei knapp über 35.000 Euro im Jahr, das Durchschnittseinkommen von einem Selbständigen bei rund 11.000 Euro. Selbst wenn ich mir die beiden gesamten Kurven anschaue, vom Mindestverdiener bis zum Spitzenverdiener, so liegen in 90 Prozent der Fälle die Angestellten vorne. Erst bei den letzten zehn Prozent heben dann die Topverdiener bei den Selbständigen ab.

Und wer steht in der Zeitung? Natürlich diese Top-Leute! Da heißt es dann: „Schau dir an, was der Dietrich Mateschitz verdient!“. Aber dieser Vergleich bringt überhaupt nichts. Wenn du einen gut bezahlten Angestelltenjob hast mit, sagen wir, 5.000 Euro brutto im Monat, dann müsstet du als Selbständiger locker-flockig 10.000 Euro verdienen, in jedem Monat, auch im Sommerloch und auch zu Weihnachten, sonst macht ein Wechsel aus finanzieller Sicht überhaupt keinen Sinn.

Wie haben Sie den Wechsel geschafft?

Ich bin langsam vorgegangen, habe meine Arbeitszeit als Angestellter zunächst reduziert und mir langsam die Selbständigkeit aufgebaut. Ich habe ein Jahr gebraucht, bis ich einmal erkannt habe, dass ich auch als Unternehmer mehr verdienen kann als ein Angestellter. Dann habe ich meine Arbeitszeit weiter reduziert. Nach drei Jahren hab ich mich dann selbständig gemacht. Du brauchst zwei bis drei Jahre Vorbereitungszeit, um das Niveau überhaupt halten zu können. Du musst dir das über Jahre hinweg erarbeiten. Dann hast du mitunter natürlich ein komfortables Leben.

Man braucht also mehr als nur eine gute Idee, um als Unternehmer zu reüssieren?

Ich frage gern bei meinen Vorträgen, was das Wichtigste ist, um sich selbständig zu machen. Die Leute sagen meistens, eine gute Idee. Ich sage: Nein, Amazon verkauft Bücher, das ist keine neue Idee gewesen. Dann sagen viele, man braucht ein gutes Team als Start-up. Ich sage: Nein, du brauchst kein Team, keine Angestellten, ich arbeite nur mit Freelancern zusammen. Du brauchst nur eine einzige Sache und das sind zahlende Kunden! Solange du zahlende Kunden hast, die dich jetzt schon mit Geld bewerfen wollen, kannst du langsam überlegen, dich selbständig zu machen. Ansonsten lass die Finger davon!

Wobei ich freilich auch als Jobsuchender nicht in jedem Bereich am hohen Ross sitzen kann und sich die Unternehmen um mich reißen. Im Marketing bin ich wohl nach wie vor der Bittsteller, oder?

Ja, das stimmt. In manchen Bereichen gibt es deutlich mehr Mitarbeiter auf der Suche als Jobs. Manche jungen Leute stellen sich auch die Frage, ob sie einen Job fürs Gehalt oder für den Lifestyle annehmen. Bei einer Eventagentur zu arbeiten ist total chic, du triffst Stars, gehst auf Konzerte und Veranstaltungen, aber du verdienst sehr schlecht. Dafür hast du ein schönes, abwechslungsreiches Leben.

Das trifft auch auf all die Influencer und Blogger zu. Die verdienen ja de facto kein Geld, das machst du für den Lifestyle. Diese virtuelle Welt eröffnet unfassbare Chancen, von denen man früher nur träumen konnte. Du brauchst ja im Prinzip in vielen Bereichen des Lebens fast kein Geld mehr. Ich habe vor fünf Jahren meinen eigenen Reiseblog gestartet und erspare mir durch Einladungen als Reiseblogger jedes Jahr einen erheblichen Betrag.

Wie rechnet sich das beispielsweise für eine Reiseanbieter oder ein Hotel?

Nehmen wir ein Hotel, der Betreiber sagt sich: Ich lade euch ein, zwei Personen für zwei Nächte, Bed-and-Breakfast-Basis. Mich kostet das Housekeeping, um euer Zimmer sauber zu machen, 15 Euro, mein Einkaufspreis für euer Frühstück sind 5 Euro. Mein Risiko sind also 20 Euro. Sollte ein einziger Gast wegen des Blogs zu uns kommen – unser Zimmer kostet meist über 300 Euro – hat sich das schon mehr als zehnfach gerechnet. Wenn keiner kommt, hab ich 20 Euro verloren, das ist mir vollkommen egal.

Mit einem guten Netzwerk kannst du als Blogger auch schön reisen, ohne viel Geld auszugeben. Ich hab ein brasilianisches Ehepaar kennengelernt, die waren zwei Jahre in Neuseeland unterwegs und haben kein einziges Mal fürs Übernachten gezahlt. Aber natürlich sind die Hotels mittlerweile auch schon selektiver geworden und schauen, was kannst du wirklich. Blender kommen mittlerweile nicht mehr durch.

Und die Moral von der Geschichte?

Es gibt Möglichkeiten in der heutigen Zeit, wie du auch mit wenig Geld, nur über dein Netzwerk an Dinge herankommst, für die du früher teuer bezahlen musstest. Man denke nur an Carsharing, Wohnungstausch und so weiter. Vieles davon spielt sich durch eine Verbindung von Online- und Offline-Welt ab. Wer sich zwischen virtueller und realer Welt sicher bewegen kann, hat gute Chancen auf ein schönes Leben, auch ohne viel Geld.

Geld wird daher für die junge Generation immer weniger wichtig. Die jungen Menschen kommen mit immer weniger Geld gut aus und wollen oft gar nicht mehr voll arbeiten. Für viele zählt nicht mehr Karriere und der Aufstieg in der Unternehmenshierarchie, sondern ein schönes, angenehmes Leben auch schon in jungen Jahren. Und dazu bietet unsere moderne Welt ein unendliches Spektrum an tollen Möglichkeiten.

Conrad Pramböck berät Unternehmen und Mitarbeiter seit über 20 Jahren in Gehaltsfragen und ist als Geschäftsführer von Upstyle Consulting weltweiter Gehaltsexperte. Er ist mehrfacher Buchautor zu Gehalts- und Karrierethemen (sein neuestes Buch heißt „Die Kunst der Gehaltsverhandlung“) und Lektor an Universitäten und Fachhochschulen. Für Firmen und Hochschulen ist er ein gefragter Key Note Speaker. www.upstyle-consulting.com